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Dolly Hüther

Was Sie immer schon über Dolly Hüther wissen wollten.

 

 

 

 

 

Vom Mädchen zur Frau

Aus aktuellem Anlass beschäftigen mich zwei Fragen:

  1. Wann fängt ein Mädchen an – ein Mädchen zu sein?
  2. Und wann fängt ein Mädchen an – eine Frau zu sein?

Die erste Frage beantwortet sich meiner Meinung nach von selbst. Bei der Geburt eines Kindes schaut die Hebamme dahin, wo die Geschlechtsmerkmale zu sehen sind und sagt bestimmend wie bestimmt: „Es ist ein Mädchen!“ Oder eben: „Es ist ein Junge!“ Durch die heute für gewöhnlich vorgenommene Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) wissen die Eltern meistens schon ab der dreizehnten Schwangerschaftswoche, welches Geschlecht ihr erwartetes Baby hat. Der Zeitpunkt also, zu dem das werdende menschliche Lebewesen als Mädchen identifiziert wird, ist frühestens Anfang des vierten Monats und spätestens mit der Geburt angesagt.

 

Und hier beginnt auch schon das Problem, das ich angesichts des unwillkürlichen und willkürlichen Gebrauchs der Bezeichnung habe. Wenn Ursula Scheu mit ihrem Klassiker „Wir werden nicht als Mädchen geboren, wir werden dazu gemacht“ bereits 1977die mustergültige Einübung in die weibliche Geschlechtsrolle von Geburt an einem kritischen Blick unterzogen hat, so plädiere ich für eine bewusstere Verwendung des Wortes. Die Bezeichnung Mädchen führt mit seiner Endung chen eine Verniedlichung ein, die der des Jungen von Anfang an fehlt. Eine adäquate Nennung wäre Bübchen, doch diese Diminutivform ist unüblich (geworden) und wenn sie gebraucht wird, dann als betontes Attribut. Personen, die sich über einen Kinderwagen beugen, hören wir nicht fragen: „Ist es ein Bübchen oder ein Mädchen?“ Das männliche Baby wird im heranwachsenden Alter auch schon mal zu einem jungen Mann, in der Pubertät gar zu einem jungen Herrn; selten genug, dass ein Mädchen in ebendiesem Alter als „Junge Frau“ bezeichnet wird. Ganz zu schweigen von der unterschiedlichen Tonlage, die mit diesen Ansprachen oft (noch) einhergeht.

Die Bezeichnung Junges Mädchen oder Kleines Mädchen ist auch von der Gesellschaft für Deutsche Sprache bemängelt worden. In der Schule lern(t)en wir: Kleines Häuschen gibt es nicht.

Es muss kleines Haus heißen oder Häuschen.

Hingegen scheint die Beantwortung meiner zweiten Frage, wann ein Mädchen zur Frau wird, weitaus schwieriger zu sein. Mehrere bereits gegebene und divergierende Antworten illustrieren das – unangebrachte Sprüche, Irraussagen und höchst fragwürdige Zuordnungen einmal beiseite gelassen.

Persönlich finde ich es relativ einfach, den Zeitpunkt zu bestimmen. Es gibt immerhin den biologischen, der mit der Menstruation zusammenfällt. Bekanntlich ist das weibliche Wesen dann eine junge Frau, die fähig ist, ein Kind zu erzeugen und auszutragen. Im Nachweis: Es gibt leider viel zu viele junge Frauen, die im Alter zwischen zwölf und sechzehn Jahren bereits Mütter sind, z.B. in Wien derzeit hundertundachtzig (laut Schwangerschaftsabbruch Museum, Wien Maria Hilfe Ring.) Oder handelt es sich um Mädchen, die mit Mädchen oder Bübchen schwanger gehen? Im Saarland kursiert momentan eine Meldung, wonach eine 16jährige Frau ihr Kind (vielleicht mangels einer sogenannten Babyklappe?) in die Kälte gelegt hat. Nach dem flüchtigen Mädchen oder jungen Mädchen, wie der Radiosprecher die junge Mutter zehn bis zwölfmal nannte, wird gefahndet.

Ich gehe einmal von mir als heute 80jähriger Frau aus. Ich gehöre einer Kriegsgeneration an, die hinsichtlich der sexuellen Aufklärung nur dürftig unterrichtet worden war, wenn die Thematik überhaupt zur Sprache kam. Wie die anderen wurde auch ich im Alter von achtzehn bis einundzwanzig Jahren als Mädchen angesprochen, wo heutzutage gewöhnlich vom Frausein und von Frau die Rede ist. Wenn ich offenen Auges durch die Straßen gehe und mir junge weibliche Personen begegnen, kann ich deren Alter kaum einschätzen. Deshalb frage ich danach, bei jeder Gelegenheit, die sich bietet – und fasse es kaum. Bei durchaus bis sehr erwachsen aussehenden Jugendlichen kommt es schon mal vor, dass sie erklären, zwölfjährig zu sein, oder dreizehn, vierzehn, fünfzehn Lenze zählen. 

Im Supermarkt fragte ich die Kassiererin, die als das Mädchen an der Kasse’ bezeichnet worden war, wie alt sie denn sei. Sie antwortete umstandslos, zweiundvierzig Jahre.

Eine Nennung verleiht auch einen bestimmten Status. Würden wir anfangen, eine junge Frau als solche auch zu bezeichnen, wie das bei jungen Männern oder jungen Herren gehandhabt wird, könnte dies das Selbstbewusstsein junger Frauen stärken. Wenn ich diese Behauptung in meinem alltäglichen Umfeld platziere, bekomme ich manchmal sogar von Müttern Reaktionen, die mich fast umhauen. Eine Frau mit drei Töchtern im Alter von acht, zwölf und achtzehn Jahren erzählte mir stolz, ihr ältestesMädchen habe gerade das Abi gemacht, mit einem Notendurchschnitt von 1,7. Angesprochen auf die im Grunde unkorrekte wie überfällige Bezeichnung ihrer Tochter als ältestes Mädchen, erklärte sie mir fast wütend: „Das ist und bleibt mein Mädchen!“ Solle es auch bleiben, versicherte ich ihr. Doch gegenüber einer fremden Dritten, die ich für sie sei, wäre die Erwähnung ihrer ältesten Tochter als einer jungen Frau sicher angebrachter? Oh nein, in dieser Hinsicht glaubte sie ihre Tochter nicht unterstützen zu müssen.

Sensibel registriere ich die beharrliche Verwendung dieser Nennung auch in Zeitungsartikeln, Sachbüchern und Forschungsarbeiten von Sprachwissenschaftlerinnen. Ich stelle fest, häufiger als Frauen sind es Männer, die junge Frauen gerne verniedlichen und ihren Status schmälern, indem sie sie als Mädchen titulieren. Zuletzt gab es zwei Anlässe, die mich dazu geführt haben, dieses Thema öffentlich machen zu wollen.

Auf einer Veranstaltung wurde ich als „altes Mädchen“ begrüßt. Mein Protest rief seltsam befremdete Blicke hervor, die Unterstellung, humorlos zu sein und die „Ehre“ nicht wahrzunehmen, die in dieser Bezeichnung läge. Selbst meine Erklärung, mit der Mädchen-Nennung gehe immer, von der Wiege bis zur Bahre, irgendein „schmückendes“ Beiwort einher, wie blondes, freches, mutiges, hübsches Mädchen usw., förderte hier keine Einsicht zutage.

Einen in diesem Kontext bemerkenswerten Artikel fand ich in der EMMA Nr. 3/2009. Die kritische Sichtung der Presse-Berichterstattung über den Amoklauf in Winnenden, wo Frauen hingerichtet worden waren und die Medien nicht zwischen Lehrerinnen, die nur wenig älter als die Schülerinnen waren, unterschied, im Gegenteil, zumeist von Schülern und Lehrern die Rede war, kann nicht oft genug vor Augen geführt werden. Als ich aber unter dieser Prämisse meine neue EMMA las (Nr. 1/2010), in der ich keine der von mir als Fehläußerung bezeichneten Aussage erwartet hatte, war ich doch ein wenig bestürzt. Ich beziehe mich auf den Artikel „Serap Cileli, Die Unermüdliche“, wo Chantal Louis allein achtmal die Bezeichnung Mädchen anführt, unter anderem von einem „verzweifelten Mädchen“ spricht, das im Alter von zwölf Jahren eine Zwangsehe eingehen sollte. Dafür wäre sie dann nicht zu jung gewesen – aber für die Bezeichnung „junge Frau“? Ich war und bin natürlich glücklich, dass die EMMA derartige Themen an sich immer wieder aufgreift. Um so mehr möchte ich dazu anregen, der Mädchen-Frau-Thematik selbst ein Dossier zu widmen. Der um sich greifende willkürliche und saloppe Gebrauch von femininen Bezeichnungen (siehe Stern 11/2009, wo die siebenunddreißigjährige Schauspielerin Heike Makatsch mit einer „Traumkarriere: vom Viva-Mädchen zum Filmstar“ vorgestellt wird) verzerrt nicht nur unsere Realitätswahrnehmung; der bewusste/re Umgang könnte im Gegenteil zum Vorteil aller, Männer und Frauen, doch insbesondere der jungen Frauen, gehandhabt werden. Es gibt noch viel zu tun.

Das war und ist ein Beitrag, den ich auf meine Seiten gestellt habe, um RÜckmeldungen zu bekommen. Wie denken Sie über diese Bezeichnung, die gestandene Frauen immer noch als kleine Mädchen bezeichnet? Ich bedanke mich schon jetzt für Ihre Meinung.

 2012


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